Interview: Geschäftsmodell-Entwicklung „Urban Hubs“ bei APCOA

Als führender Parkraumbetreiber in Europa hat APCOA in den letzten 50 Jahren das größte Netz an Parkflächen und damit ein profitables Geschäft aufgebaut. Neue Trends wie die Digitalisierung, der zunehmende E-Commerce, die Mobilitätswende aber auch das Thema Nachhaltigkeit wurden antizipiert und frühzeitig in die Unternehmensstrategie integriert. Trotzdem kommt das traditionelle Geschäftsmodell des Parkhausbetreibers durch regulatorische Vorgaben wie das Dieselfahrverbot und die Lockdowns während der Pandemie unter Druck.

APCOA hat die Zeit des Wandels zur eigenen Transformation vom Parkhausbetreiber zum integrierten Urban Service Provider genutzt. Über den Aufbau von Urban Hubs als Weiterentwicklung des eigenen Geschäftsmodells und die Digitalisierung von Parken und Mobilität haben wir mit APCOAs Chief Commercial Officer Frank van der Sant gesprochen.

Das Gespräch führte Henrik Steensen von undconsorten.

Was sind eigentlich Eure Urban Hubs genau?

Das sind Teilflächen in unseren Parkhäusern, die wir für mehr nutzen als das typische Parken – also für Logistik, spezielle Mobility-Anwendungen, Ladestationen oder alle möglichen anderen digitalbasierten Angebote, bis hin zu Micro-Maintenance.

Und wie seid Ihr darauf gekommen? Das ist ja nicht so nah am klassischen Parkgeschäft, das Ihr sonst betreibt, oder?

Wir haben vor vier bis fünf Jahren angefangen, darüber nachzudenken. Da gab es ja schon erste Restriktionen in Städten, zum Beispiel Diesel-Fahrverbote. Wir haben uns neuen Mobility-Anwendungen gegenüber geöffnet – wir machen z. B. mit der BVG einen Jelbi Hub in Berlin [Anm.: Jelbi ist die zentrale Vernetzung der Mobilitätsangebote in Berlin], mit Carsharing, e-Bikes, e-Mopeds, Scootern, etc., die auf Parkflächen bereitgehalten und angeboten werden. Es kamen so viele Anfragen aus unterschiedlichen Bereichen, dass wir unser Angebot besser strukturieren und konzeptionell hinterlegen wollten.

Und wie sieht so ein Urban Hub dann genau aus? Ist das ein abgetrennter Bereich in einem Innenstadt-Parkhaus, oder wie kann man sich das vorstellen?

Genau so muss man sich das vorstellen. Es gibt verschiedene Bereiche, die sind B2B-only – gerade für logistische Projekte, wo vorkommissionierte Ware durch einen Van oder LKW in die Garage geliefert und dann auf Lastenräder für die Last Mile Delivery aufgeteilt wird. Das passiert in abgetrennten Bereichen, die nicht zugänglich für die Öffentlichkeit sind. Aber es gibt auch Bereiche, die speziell für die Öffentlichkeit zur Verfügung stehen und klassisch von uns als Urban Hub vermarktet und sichtbar in der Garage gekennzeichnet werden. Dort können Car-Sharing-Fahrzeuge, Scooter, Bikes, oder Locker Boards [Anm.: hier können Pakete verstaut und abgeholt werden] in Anspruch genommen werden.

Ging es Euch dabei auch um Themen wie Nachhaltigkeit oder „lebenswerte Stadt“, oder hat sich das eher von selbst per Zufall oder durch spezifische Anfragen entwickelt?

Solche Themen sind schon Teil unserer ESG-Agenda [Anm.: ESG = Environment, Social, Governance], keine Frage. Es ist ja so, dass man als parkhausbetreibendes Unternehmen im Smart-City-Kontext tendenziell als „Bad Boy“ angesehen wird, der eher für die Vergangenheit steht. Wir sehen es allerdings genau andersrum, weil viele unserer Parkhäuser sowohl in der Innenstadt als auch in den Vororten ideale Orte sind, um alle möglichen modernen Services für eine Smart City zu erbringen. Zudem haben wir vor einer Weile in unsere digitale Plattform „Flow“ investiert, um digitale Zugangs- und Bezahlmöglichkeiten zu schaffen. Und wenn wir das alles kombinieren, können wir meiner Meinung nach eine Kernrolle im Smart-City-Kontext spielen.

Ich verstehe. Arbeitet Ihr denn mit denselben Leuten wie vorher oder habt Ihr neu eingestellt?

Wir sind dabei, neue Kräfte einzustellen. Das Logistikthema z. B. erfordert teilweise hohes Detailwissen, um die genauen Prozesse zu verstehen. Und um dann mit unseren Partnerunternehmen auf Augenhöhe sprechen zu können, haben wir jetzt ein paar Fachkräfte mit Expertise in dem Umfeld geheuert. So können wir jetzt gemeinsam Prozesse definieren, da Kosteneffizienz in der Logistikbranche einen hohen Stellenwert hat.

Was würdest Du sagen, worauf kam es dabei an, dass es bei Euch so schnell losgegangen ist? Auf welche zwei bis drei Erfolgsfaktoren habt Ihr dabei geschaut?

Man muss sagen, dass wir während dieser COVID-Phase, in der unser klassisches Geschäft tendenziell eher ruhiger war, die Zeit genutzt haben, um genau darüber im Detail nachzudenken. Das andere ist, dass wir eine Organisation sind, die klar businessgetrieben ist. Wir haben in der Vergangenheit schon gemeinsam mit Euch initiale Businesspläne aufgebaut und geguckt: Wie sind die Marktchancen? Wo bestehen Wachstumsmöglichkeiten? In welchen Märkten ist es E-Commerce? Wie sieht’s mit Scootern und Self-Storage aus? Und gemeinsam haben wir dann sehr ambitionierte Businesspläne als Ideen für die jeweiligen Länder erstellt, welche aber auch gleichzeitig das Potential herausgestellt haben, das für uns als Parkhausbetreiber in diesem Geschäft steckt. Das führte dann dazu, dass jede Person, die bei uns P&L-Verantwortung [Anm.: Profit and Loss] hat, gesehen hat, dass die Zahlen relativ groß sind und wir dieses Potential nicht auf der Straße liegenlassen, sondern abgreifen wollen.

Aber es ist auch eine Veränderung für die eine oder andere zweifelnde Person. Habt Ihr da investiert?

Ja, natürlich ist es eine Veränderung vom Mindset her. Aber wie Du weißt, unterliegt unsere Organisation schon seit Jahren einigen Veränderungen, auch durch unterschiedliche Eigentümer:innenstrukturen. Jetzt ist es aber eine Veränderung, die sehr positiv belastet ist. Vorher waren Veränderungen eher im Sinne von: Wir gucken nach weiteren Kostenoptimierungsmaßnahmen, wo kann man weitere Effizienzen erreichen, wo kann man Businessprozesse mit Shared Services verändern? Und um kosteneffizienter zu arbeiten ist das eine Veränderung, die sich auf die Top-Line fokussiert und somit positives Momentum verursacht. Da haben wir ja mit Euch sehr intensiv dran gearbeitet, auch im Rahmen unserer neuen Gruppenstrategie, die wir aufgesetzt haben, in der wir ja auch das Thema Urban Hubs sehr zentral verankert haben. Und letztendlich haben wir während der Pandemie gesagt: Wir spielen jetzt nicht die Verteidigung, indem wir denken, dass jetzt weniger Leute parken und wir gucken müssen, dass wir unseren Umsatz aufrechterhalten. Stattdessen haben wir gesagt, dass wir das ganz klar aggressiv nach vorne spielen und diese Möglichkeit als Wachstumstreiber sehen. Wir wollten an vorderster Front stehen und das haben wir in diesem gesamten Change-Management-Programm inklusive neuer Strategie sehr gut aufgesetzt, sodass es auch bei unseren Kolleg:innen überall sehr positiv aufgenommen wird.

Spielen Eure Sales-Leute bei neuen Partnern eine aktive Rolle oder nehmen die erst Kontakt auf, wenn Ihr gefragt werdet?

Wir gehen aktiv raus und haben angefangen, die Use Cases sauber durchzustrukturieren. Zudem haben wir neue Kolleg:innen eingestellt, die daraus einzelne Produkte entwickeln sollen. Aber zunächst gucken wir uns die einzelnen Use Cases an – Beispiel Self-Storage: Da determinieren wir erst die Key Player, die in diesem Markt schon existieren. Dann adressiert unsere Sales Organisation diese Key Player und es kommt zu einer Unterhaltung – das ist teilweise auch noch klassisches Cold-Call-Business.

Es ist ja schon eine andere Logik, von Parkhausbesitzenden zu e-Scooter-Betreibenden zu wechseln. War das für Eure Sales-Leute eine große Umstellung? Macht Ihr da Enabling?

Ja, wie ich bereits sagte, wir haben einerseits neue Sales-Leute geheuert, die aus diesen Märkten kommen, idealerweise mit dem entsprechenden Netzwerk in dem Segment. Und andererseits haben wir unsere Bestandssalestruppe enabled durch diverse Materialien wie Online Lessons und jede Menge Trainings. Natürlich ist nicht jede:r so einfach dafür geeignet. Man hat ja gerade sehr viel mit Start-ups Kontakt und dort ist die Umgehensweise, die Art der Kommunikation, die Geschwindigkeit, mit der Antworten gefordert sind, die Flexibilität eine etwas andere als in einer sehr, sehr konservativen Immobilienbranche, wo Zeit relativ ist (manchmal).

Du hast gesagt, dass Euer Unternehmen auf Eurer Tech-Plattform im Hintergrund basiert. Kannst Du dazu noch etwas sagen? Werdet Ihr jetzt der App Store der Parkbranche?

Naja, ganz so ist es nicht (lacht). Wir haben 2016 unsere digitale Plattform „Flow“ gelaunched und in all unseren Garagen in Europa als Plattform verfügbar gemacht. Sie ist, in meinen Augen, primär eine Back-End-Plattform, die praktisch all unsere Garagen digitalisiert. So sehen wir alle Transaktionen live, direkt in einem Data Warehouse. Dadurch wird die Öffnung und Schließung von Schranken gesteuert, Preistabellen werden damit angesteuert. Und so können wir bei vielen Use Cases den Partnerorganisationen Transaktionen in realer Zeit melden. Wenn man jetzt an eine Car-Sharing-Organisation denkt, dann muss die natürlich wissen, wo ein Auto steht, wann es irgendwo reinfährt und wann es irgendwo abgegeben wird. Dasselbe gilt für die Logistikunternehmen. Die wollen wissen, wann ihre Sachen abgeholt werden, wann sie rausgefahren werden, wie viele Transaktionen es gibt. Und das messen wir alles.

Frank van der Sant über den Nachhaltigkeitsaspekt des Urban-Hubs-Konzepts

Wer gehört denn zu Eurer Klientel? Wer kommt da auf Euch zu?

Wir reden praktisch über alle Car-Sharing- und auch Car-Rental Unternehmen (z. B. Sixt, mobileeee, DriveNow). Und im Logistikbereich alle Marken, die Du Dir vorstellen kannst. Für alle geht es ja um die Last Mile Logistik, und gerade in COVID-Zeiten sind die E-Commerce-Bestellungen dramatisch gestiegen. Deine DHL-Paketzustellerin wird dir sagen, sie liefert heute im Schnitt 200 Pakete pro Tag aus, wohingegen das früher tendenziell eher 120 bis130 Pakete pro Tag und eventuell mal in der Woche vor Weihnachten 200 Pakete waren. Das führt natürlich dazu, dass die Logistikunternehmen die Herausforderung haben, mit ihren Vans in die Innenstadt zu fahren, was die Städte wiederum aufgrund von Staus und zusätzlichen Emissionen nicht wollen.

Und geht das nur in Deutschland oder macht Ihr das auch europaweit?

Das machen wir europaweit, wobei man sagen muss, dass es bei den unterschiedlichen Use Cases verschiedene Entwicklungsstadien in Ländern gibt. Z. B. gibt es in Deutschland und Skandinavien eine sehr hohe Nachfrage zum Thema e-Scooter und Aufladen, wohingegen es in Großbritannien und Irland bisher noch praktisch verboten war und gerade erst anfängt.

Wie ist denn diese Neuorientierung in Eurer Organisation in den letzten Monaten angekommen?

Zunächst muss ich sagen, dass das klassische Parken auch weiterhin unser absolutes Kerngeschäft bleibt. Und es ist nicht so, dass wir das verlassen wollen, sondern ganz im Gegenteil: Wir brauchen das klassische Parkgeschäft und die Parkhäuser/Locations, um auch Urban Hubs Services zu erbringen. In unserer Organisation gab es natürlich am Anfang ein paar traditionalistische Zweifelnde, die neben der Innovation auch die vielen Probleme gesehen haben. Aber durch unsere Neuorientierung und das damit verbundene Wachstum ist auch eine gewisse positive Energie in unserem Unternehmen zu verspüren und dementsprechend wurde diese Entwicklung sehr gut bei uns aufgenommen.

Frank van der Sant über die technologische Plattform hinter Urban Hubs

Wie läuft denn das für mich als Endkunden, wenn ich mir bei Euch im Urban Hub ein Car-Sharing-Auto von share now miete? Muss ich dann noch mit einem Papierticket herumhantieren?

Nein, nein, das funktioniert alles digital. Wenn du über Car Sharing oder Scooter nachdenkst, das sind ja klassische Services, die heute generell nur App-basiert laufen. Und da arbeiten wir mit unserer Plattform API-Schnittstellen [Anm.: application programming interface, oder Anwendungsprogrammierschnittstelle] mit unseren Partnerunternehmen-Apps zusammen, sodass sich automatisch Schranken öffnen, ohne Papiertickets zu benötigen, und wir im Hintergrund, teilweise auch auf Monatsbasis, die Abrechnung mit diesen Unternehmen machen. Und deshalb sage ich, dass das auch wirklich ein Enabler für viele unserer Services ist.

Du hast jetzt gesagt, es läuft digital. Ist das dann eine AI-basierte Lösung an der Schranke oder wie regelt Ihr das, dass die Schranke auch tatsächlich am Ende aufgeht?

Wir arbeiten mit Kameras und Kennzeichenerkennung. Leider ist Deutschland der letzte Restant in der Gruppe, wo noch nicht überall Kameras aufgestellt sind, um Kennzeichen zu erkennen…

Ich frag auch deshalb, weil das in Deutschland ja nicht jeder kennt.

Das war lange in Deutschland aufgrund von Data Privacy und Security ein heißes Thema. Ich erinnere mich noch, wir haben schon vor fünf Jahren die ersten Kameras aufgestellt, bis sich dann ein Anwalt vor Gericht beschwert hat und wir sie wieder mit Plastiktüten abhängen mussten. Mittlerweile ist es aber auch in Deutschland vollumfänglich akzeptiert. Nichtsdestotrotz erfordert es für uns als parkhausbetreibendes Unternehmen, das praktisch im gesamten Deutschland aktiv ist, immer wieder eine Einzelfallgenehmigung mit den jeweiligen lokalen Landesdatenschutzbeauftragten.

Letzte Frage: Was war für Dich der coolste Moment in Eurer Urban Hub Journey?

Du weißt selbst, wir haben extrem viel Zeit in diese Businesspläne investiert – was sind die Wachstumsraten, was können wir davon wirklich abgraben? Und damals haben alle gesagt, wir müssten schnell Kontakt mit den Ländern aufnehmen. Aber ich habe damals immer gesagt, dass wir das wirklich super genau im Detail ausarbeiten müssen – nur dann können wir uns mit der maximalen Kredibilität den Ländern vorstellen, und nur so kriegen wir deren Buy-In. Als wir dann die ganzen Gespräche mit den Ländern hatten und denen unsere Ideen im Detail vorgestellt haben, und auch schon für jeden Fall Pilotfälle aus anderen Ländern gezeigt haben, und die Länder dann eigentlich alle gesagt haben: „Ich glaube daran, das hat Potential“ – übrigens, wir sind aktuell bei unserem Fünfjahresplan, den wir uns vorgenommen haben und im Februar gelaunched haben, schon im dritten Jahr, was wir bereits unterschrieben haben. So schnell geht das Business, das explodiert quasi… Aber der Moment, als die Länder gesagt haben, dass es nicht so ist, dass die Leute aus dem Elfenbeinturm sich mit ihrer Beratungsfirma etwas Schickes überlegt haben, was aber total unrealistisch ist, sondern, dass sie gesagt haben „Ich kaufe das Konzept, ich kaufe die Zahlen, ich glaube daran, lasst uns starten!“, das war im Endeffekt für mich der schönste Moment dabei.

Frank van der Sant über den Moment, der ihm in der Urban Hubs Journey am meisten in Erinnerung bleibt

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Dr. Florian Dressler
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