Reorganisation und Mitbestimmung – (K)ein Widerspruch?
Reorganisationen sind allgegenwärtig – sowohl bei Unternehmen der Privatwirtschaft als auch bei öffentlichen Institutionen. Oftmals sind sie disruptiv und können das tägliche Erleben des Arbeitsumfelds für Mitarbeitende und Führungskräfte stark beeinflussen. Eine zentrale Rolle bei diesen Veränderungen stellt das kooperative Miteinander mit dem Betriebsrat dar. Dieser Artikel beleuchtet, wie Unternehmen gemeinsam mit der Mitbestimmung Reorganisationsprozesse konstruktiv gestalten können.
Reorganisationen werden relevanter
Der Begriff der Reorganisation deckt sehr unterschiedliche Anwendungsfälle ab, von einer umfassenden Restrukturierung bis hin zu abgegrenzten organisatorischen Anpassungen einzelner Unternehmensbereiche. Auch die Breite des Begriffs selbst variiert stark. Die einen verstehen hierunter ausschließlich die Anpassung von Strukturen, andere beziehen auch Prozesse, Systeme, Governance und Zusammenarbeit mit ein. Eines haben die Definitionen gemein: Es geht bei Reorganisationen immer um eine Anpassung der Organisation an veränderte Rahmenbedingungen. Es reicht der Blick in viele Unternehmen, um festzustellen: Es wird mehr reorganisiert als vermutlich je zuvor, denn auch die Rahmenbedingungen ändern sich immer schneller.
Effektive Zusammenarbeit mit dem Betriebsrat
In Deutschland spielt der Betriebsrat bei Reorganisationen eine zentrale Rolle. Seine Rechte und Pflichten sind im Betriebsverfassungsgesetz verankert. Der Betriebsrat hat das Recht, über geplante organisatorische Änderungen informiert und angehört zu werden. Bei umfassenderen personellen Veränderungen und Personalabbau geht die Mitsprache noch weiter. Damit ist die Rolle des Betriebsrats einerseits formal und rechtssicher geregelt. Aber dessen ungeachtet ist es wichtig und sinnvoll, die enge Einbindung des Betriebsrats in Reorganisationsprojekte sicherzustellen und auch über den gesetzlichen Mindestrahmen hinaus den Schulterschluss zu suchen.
So unterschiedlich die Unternehmen sind, so verschieden sind auch die Betriebsräte und ihre eingeübte Rolle in der Interaktion mit dem Management und den Mitarbeitenden. Daher muss immer zuerst der Kontext der bisherigen Zusammenarbeit betrachtet werden. Dieser kann sowohl ein Beschleuniger sein, wenn in der Vergangenheit vertrauensvoll zusammengearbeitet wurde, aber auch ein Hindernis, wenn dies nicht der Fall war. Dann besteht die Gefahr, dass „alte Kämpfe“ unter neuem Namen fortgeführt werden.
Es kommt also zunächst darauf an, mit welcher Haltung das Management dem Betriebsrat im Zuge einer Reorganisation begegnet und ob diese von einer „Chancenperspektive“ getragen ist. Und Chancen gibt es durchaus – hier einige Beispiele:
- Nutzung des Betriebsrats zur Identifikation von Schmerzpunkten der Organisation
- Inhaltliche Perspektive in der Ausgestaltung der neuen Organisation
- Rolle als wirkungsvoller Multiplikator für Veränderungen
- Zusätzliche Anlaufstelle für Mitarbeitende bei Fragen und Sorgen
Natürlich gibt es rollenimmanente Interessenkonflikte zwischen Management und Betriebsrat, und nicht überall wird ein solches Vertrauensverhältnis vorhanden sein. Dennoch ist es wichtig, zumindest einen Versuch zu starten und an der einen oder anderen Stelle einen (vielleicht unerwarteten) Vertrauensvorschuss zu geben. Dann kann der Betriebsrat die Rolle einnehmen, die ihm seine größte Wirksamkeit verleiht – als enger und gleichermaßen kritischer Begleiter des Managements.
Auch bei Zuhilfenahme eines Beratungsunternehmens reicht das Spektrum der Zusammenarbeit von kompletter Opposition bis hin zu einer sehr konstruktiven und lösungsorientierten Haltung. Neben der notwendigen fachlichen Eignung sollte die Beratungsunterstützung daher aus unserer Sicht drei Dinge mitbringen: Ein authentisches Interesse am Erfolg des Unternehmens und der Wirkung der Reorganisation, eine gleichermaßen hohe Sach- und Menschenorientierung sowie das Spielen auf Augenhöhe mit dem Management und mit dem Betriebsrat. So kann es eine Beratung im besten Fall sogar schaffen, Brücken zu bauen, die es vorher nicht gab.
Grad der Einbindung festlegen
Je nach Vertrauensverhältnis kann der Grad der Beteiligung des Betriebsrates in jeder Phase einer Reorganisation unterschiedlich gewählt werden:
- Frühere oder spätere Einbindung des Betriebsrates (während der Konzeptionsphase oder wenn schon erste Entscheidungen getroffen wurden)
- Einbindung in allen Phasen oder nur in ausgewählten Phasen (z.B. nur Information)
- Formale Information mit Bitte um Stellungnahme oder aktive Bitte zur Mitwirkung
- Einbindung des/der Betriebsratsvorsitzenden in einem kleinen Kreis oder Einbindung des gesamten Betriebsrates (mit der dazugehörigen Komplexität)
- Regelmäßiger (auch informeller) Informationsfluss oder formalisierte Informationen zu festgelegten Zeitpunkten
- Einbindung als Teil des Projektteams oder außerhalb des Projektteams (z.B. über Lenkungskreis)
Unabhängig von der konkreten Ausgestaltung der Zusammenarbeit ist es aber generell sinnvoll, auch in einer noch nicht optimalen Situation den Reorganisationsprozess als vertrauensbildende Maßnahme zu nutzen, um schrittweise mehr Vertrauen aufzubauen. Dies kann über Zeit in einem weiteren Ausbau der Einbindung münden. Wichtig unserer Erfahrung nach: Eine verlässliche persönliche Beziehung erlaubt es, sowohl informell als auch formell gemeinsam und konstruktiv nach Lösungen zu suchen – im Sinne der Mitarbeitenden und des Unternehmens.
Einbindung des Betriebsrats in den Phasen der Reorganisation
Eine erfolgreiche Reorganisation umfasst vier Handlungsfelder, die zwar nicht alle denkbaren Herausforderungen adressieren, aber eine zielführende Umsetzung wahrscheinlicher machen. In jedem einzelnen dieser Arbeitspakete kann und sollte der Betriebsrat eine Rolle spielen:
- Anspruchsniveau und Zielbild formulieren: Nicht selten wird eine Reorganisation zur „eierlegenden Wollmilchsau“ stilisiert. Dabei soll das Unternehmen gleichermaßen weniger hierarchisch, schneller, effizienter, dezentraler, innovativer, ... (setzen Sie hier gern beliebige weitere Schlagwörter ein) werden. Damit gerät das Hauptziel schnell aus den Augen und es liegt am Top-Management, sinnvoll zu priorisieren und Designprinzipien für die Neugestaltung zu definieren. Das erfordert zuweilen etwas Geduld, denn nicht immer besteht gleich die gewünschte strategische Einigkeit. Hier ist es wichtig, einen „guten Start“ hinzulegen und den Betriebsrat von Beginn an in die Überlegungen einzubeziehen. So kann der Betriebsrat schon bei der Erarbeitung von Leitplanken und Zielen eingebunden werden (z.B. in einem gemeinsamen Auftaktworkshop). Auch hilft eine frühzeitige Einbindung typischerweise dabei, Vertrauen für den weiteren Prozess aufzubauen. Es geht aber auch um Erwartungsmanagement, also darum, klar und ehrlich zu kommunizieren, was die Reorganisation bedeuten kann, was nicht und wo es noch unklar ist. Hier können auch bereits Konfliktpotenziale identifiziert und „Spielregeln“ für den Umgang damit aufgestellt werden.
- Führungskräfte und Mitarbeitende selektiv einbinden: Klassischerweise gibt es zwei Phasen, um sowohl die Mitarbeitenden als auch die Führungskräfte einzubeziehen: Bei der Analyse der aktuellen Stärken, aber auch der Schmerzpunkte der Organisation durch gezielte Interviews und Fokusgruppen sowie bei der Erarbeitung von Lösungsoptionen innerhalb vorgegebener Leitplanken. Insbesondere bei der Analyse von Schmerzpunkten der Organisation kann der Betriebsrat eine wichtige Informationsquelle sein. Aber auch, wenn es darum geht, die neue Organisation im Rahmen der gesetzten Leitplanken auszugestalten, kann der Betriebsrat als Korrektiv und Sparringspartner fungieren. Zwar werden in dieser Phase oft Führungskräfte und Mitarbeitende eingebunden, aber es gibt auch Fälle, wo dies aus offensichtlichen Interessenkonflikten weniger möglich ist. Hier kann und muss der Betriebsrat eine wichtige Rolle als „Challenger“ der erarbeiteten Konzepte einnehmen, schon allein um auch mögliche „blinde Flecken“ des Managements auszugleichen. In diesem Zusammenhang könnte sich auch eine direkte Einbeziehung von ausgewählten Mitgliedern des Betriebsrates in das Projektteam anbieten – mit allen dazugehörigen Rechten und Pflichten.
- Transparent, klar und authentisch kommunizieren: Eine Reorganisation erzeugt immer auch Unsicherheit. Daher ist es unerlässlich, eine konsistente „Geschichte“ der Reorganisation zu kommunizieren. Das ist mehr als interne Kommunikation – vielmehr geht es um den Aufbau von Vertrauen, dem Schaffen von Verständnis dafür, WARUM etwas passiert und schlussendlich auch darum, individuelle Unsicherheiten und Missverständnisse zu minimieren. Typischerweise werden dazu Breitbandkommunikation (z.B. Intranet), persönliche Kommunikation (z.B. Townhalls) oder kaskadierte Kommunikation (z.B. über Führungskräfte oder Multiplikatoren) genutzt. Der Betriebsrat kann hier über sein breites Netzwerk einen wichtigen zusätzlichen Kanal bilden. Damit dieser jedoch effektiv genutzt werden kann, muss absolute Einigkeit über die „Geschichte“ und die Kernaussagen der Reorganisation bestehen.
- Iterativ umsetzen: In den seltensten Fällen ist eine Organisation perfekt – und sie wird es auch nach dem Umbau nicht sein. Es sind immer Abwägungen und Kompromisse zu finden und manche Dinge auch einfach einmal auszuprobieren. Daher spüren betroffene Führungskräfte und Mitarbeitende als erstes, was im täglichen Leben funktioniert und was nicht. Hier sind typischerweise die Mitglieder des Reorganisationsprojektteams nah am Puls der Organisation und auch das Management wird direkte Rückmeldungen erhalten. Aber auch hier hilft es, mit dem Betriebsrat ein zusätzliches Ohr am Puls der Organisation zu haben, um zu verstehen, wie die Veränderungen wahrgenommen werden und wo inhaltliche Nachschärfungen notwendig sind.
Fazit
Reorganisationen erfordern eine enge Zusammenarbeit zwischen Management und Betriebsrat. Eine frühzeitige und transparente Einbindung ist entscheidend, um eine erfolgreiche Umsetzung zu gewährleisten. Sie kann in verschiedenen Projektphasen erfolgen und unterschiedliche Intensität annehmen (je nach gegebenem Verhältnis zwischen Management und Betriebsrat). Eine frühzeitige und transparente Kommunikation, gegenseitiger Respekt und die Bereitschaft zur Zusammenarbeit sind dabei die Schlüssel zum Erfolg. Unternehmen, die diese Prinzipien berücksichtigen, können von einer effektiven Reorganisation profitieren, die sowohl den Unternehmenszielen als auch den Interessen der Mitarbeitenden gerecht wird. Im besten Fall stärkt der gemeinsame Erfolg das Vertrauensverhältnis zwischen Betriebsrat und Management.
Erfolgsfaktoren auf einen Blick
- Grad der Einbindung des Betriebsrats festlegen
- Frühzeitige Einbindung zum Erwartungsmanagement und Vereinbarung von Spielregeln im Rahmen der Reorganisation
- Nutzung auf drei Ebenen: Ohr an der Organisation, inhaltlicher Challenger und Kommunikationskanal
- Wenn möglich, direkte Einbindung in das Projektteam
- Regelmäßiger Austausch (formell und informell)
- Ehrliche, klare und authentische Kommunikation auf Augenhöhe
- Persönliche und über Zeit stabile Ansprechpartner mit belastbarem Mandat
Dieser Artikel ist zuerst erschienen in der 08 | 2024-Ausgabe des Fachmagazins changement! mit dem Themenschwerpunkt Change gestalten mit dem Betriebsrat.