Füllige oder schlanke Regeln?

Die Kunst der richtigen Regelstrategie in der Organisationsentwicklung

In der modernen Unternehmenswelt stellen sich immer wieder grundlegende Fragen: Wie viele Regeln sind nötig, um ein Unternehmen effizient zu steuern, ohne es zu ersticken? Und wie flexibel sollten diese Regeln sein, um sowohl Stabilität als auch Agilität zu gewährleisten? Diese Fragen sind nicht neu, aber in Zeiten zunehmender Unsicherheit und schneller Veränderungen gewinnen sie zunehmend an Bedeutung. Ein eindrucksvolles Beispiel hierfür lieferte ein Projekt bei einem globalen DAX-40-Klienten, bei dem eine Reorganisation notwendig wurde. Das Unternehmen war von einer zu komplexen Matrixstruktur geprägt, die den Entscheidungsprozess lähmte. Ein zentraler Punkt der Diskussion war, wie die Zusammenarbeit durch die Einführung neuer „Regeln“ – in Form von Leitlinien, Maximen und Prinzipien – verbessert werden könnte.

Diese Problematik erinnert an die zentralen Thesen von Lorraine Daston in ihrem Buch „Regeln: Eine kurze Geschichte der Regeln“. Daston unterscheidet drei zentrale Regeltypen: Algorithmen, Gesetze und Modelle. Diese Kategorien bieten einen nützlichen Rahmen, um die Art der Regeln zu verstehen, die in Organisationen benötigt werden.

  1. Algorithmen sind klare, präzise Regeln zur Berechnung und Messung, die vor allem in standardisierten Prozessen von Bedeutung sind. Sie sind in Unternehmen wichtig, wenn es darum geht, Effizienz und Vorhersagbarkeit zu gewährleisten.
  2. Gesetze sind universelle, notwendige Wahrheiten, die in der Welt der Organisationen als fundamentale Prinzipien gelten – etwa ethische Standards oder verbindliche rechtliche Vorschriften.
  3. Modelle hingegen sind flexibel, oft weniger konkret und dienen als Vorbilder oder Paradigmen. Sie sind besonders wichtig in der Führung von Unternehmen, da sie einen klaren Rahmen für Entscheidungen und Handlungen bieten, aber gleichzeitig Raum für Interpretation und Anpassung lassen.

Daston geht jedoch noch einen Schritt weiter und unterscheidet Regeln nicht nur nach ihrer Form, sondern auch nach ihrer Anwendung und Flexibilität. In ihrer Analyse stellt sie fest, dass Regeln in Organisationen entweder „schlank“ oder „füllig“ formuliert werden können. Schlanke Regeln sind präzise, wenig interpretierbar und haben eine feste Auslegung. Sie eignen sich für Situationen, in denen Klarheit und schnelle Entscheidungen notwendig sind, wie etwa bei Sicherheitsvorschriften oder in der Produktion. Füllige Regeln hingegen sind oft detailliert und beinhalten viele Ausnahmen, die Raum für Interpretation und Urteilskraft lassen. Diese Art von Regeln ist flexibler, aber auch schwerer anzuwenden, da sie ein hohes Maß an Vertrauen und Weisheit in der Auslegung erfordern.


Ein klassisches Beispiel für eine füllige Regel ist die Benediktinerregel aus dem 6. Jahrhundert, die detaillierte Lebensvorgaben machte, aber zugleich die Notwendigkeit zur Unterscheidungsfähigkeit und zur Anwendung von Ausnahmen betonte. Die Regel überlebte Jahrhunderte, nicht zuletzt, weil sie denjenigen, die sie anwendeten, den Raum ließ, in unsicheren und unvorhersehbaren Situationen zu entscheiden.

Dieser Gedanke von „fülligen Regeln“ lässt sich auf moderne Unternehmen übertragen, die in einer Welt voller Unsicherheiten und schnellen Veränderungen agieren. Besonders in Zeiten von Digitalisierung und Künstlicher Intelligenz, wenn viele Prozesse automatisiert werden, könnte der Mensch-Maschine-Ansatz als moderne Form der Benediktinerregel betrachtet werden. Eine Kombination aus klaren Algorithmen für die Automatisierung und „fülligen Regeln“ für die Interpretation und das Handeln in komplexen, unsicheren Situationen könnte der Schlüssel zu einer erfolgreichen Organisationsentwicklung sein.


 

Es ist die Aufgabe der Führungskräfte, eine Balance zu finden – zwischen der Notwendigkeit von festen, effizienten Regeln und der Freiheit, auf unvorhersehbare Veränderungen flexibel zu reagieren. Die Herausforderung liegt darin, welche Art von Regelwerk für welches Problem am besten geeignet ist und wie diese Regeln konsequent aber auch flexibel angewendet werden können.

Warum ist das wichtig für die Organisationsentwicklung?

Die Fähigkeit, sowohl klare als auch flexible Regeln zu entwickeln und anzuwenden, wird immer entscheidender. Organisationen, die zu viele starre Regeln aufstellen, blockieren Innovationen und verhindern schnelle Anpassungen an neue Marktbedingungen. Andererseits können zu lockere Regelwerke zu einer mangelnden Klarheit führen und die Effizienz beeinträchtigen. Unternehmen müssen daher ständig die Balance zwischen strengen Vorgaben und der Flexibilität zur Anpassung an neue Gegebenheiten finden.

Ein weiterer interessanter Aspekt ist die zunehmende Bedeutung von Vertrauen in der Führung. Gerade in komplexen, unvorhersehbaren Umfeldern – wie sie in modernen Unternehmen immer häufiger vorkommen – sind es oft die Führungskräfte, die entscheiden müssen, wie eine Regel im Einzelfall angewendet wird. Das Vertrauen in deren Urteilsvermögen wird zu einem entscheidenden Erfolgsfaktor für die Unternehmensführung. Dies ist der Moment, in dem die „fülligen“ Regeln ihren Platz finden – sie verlangen nicht nur Wissen, sondern auch Weisheit und Vertrauen in die Entscheidungsträger.

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