Erfolgsfaktoren für die Implementierung agiler Methoden in großen Organisationen

In einem Umfeld mit einer sehr heterogenen IT-Landschaft, starker gesetzlicher Regulierung und traditionellen Arbeitsweisen haben wir agile Methoden in der Produktentwicklung eines führenden Versicherungsunternehmens eingeführt. Die Erfolge sprechen für sich: Entwicklung von fünf Produktvarianten statt einer in nur einem Jahr und das 40 % unter Budget.

Die meisten Organisationen stehen heute vor der Frage, wie sie ihr Geschäft in einer sich teils rasant verändernden Umwelt weiterentwickeln und mit dem Wettbewerb auch in Zukunft mithalten können. Agilisierung – von der Produktentwicklung über die Operationalisierung bis in den Vertrieb – ist eine mögliche Antwort. Doch was bedeutet das in der Praxis? Wir haben unseren Klienten über 12 Monate bei der Agilisierung der Produktentwicklung begleitet und dabei agile Methoden wie Scrum und Kanban, agile Führung sowie unterschiedliche Skalierungsframeworks eingesetzt. Drei konkrete, prozessuale Hebel und gezielter „agiler Change“ waren für den Erfolg wesentlich.

Einführung von iterativen Entwicklungszyklen

In der Vergangenheit waren Entwicklungszyklen oft sehr lang und wenig flexibel. Der Entwicklung folgten aufwändige Abnahmeprozesse, meist gefolgt von langwierigen Änderungsanträgen. Durch die Einführung von Scrum konnte dieser Prozess erheblich verkürzt und effizienter gestaltet werden. Die Entwicklung findet nun in kurzen, iterativen Zyklen („Sprints“) von zwei Wochen statt. Die Abnahme (Review) einzelner Funktionalitäten und Teilprodukte erfolgt im Anschluss eines jeden Sprints. Mögliche Änderungsbedarfe können so frühzeitig identifiziert und direkt im nächsten Sprint umgesetzt werden. Zusätzlich finden nach jedem Sprint Retrospektiven zur Team-Zusammenarbeit statt. So ermöglicht die Arbeit in iterativen Zyklen ein schnelles Feedback sowohl zum Produkt als auch zur Zusammenarbeit; Gelerntes kann bereits im nächsten Sprint umgesetzt und Verbesserungen können schnell erzielt werden. Im Ergebnis wird eine performante, selbstlernende Organisation gestärkt. 

Aufsatz von cross-funktionalen Teams

In der Vergangenheit wurden Produkte in einer sequenziellen Logik entwickelt („Wasserfall“). Funktionale Teams übergaben sich ihre Arbeitsstände und fokussierten sich lediglich auf die Erfüllung ihrer spezifischen Anforderungen, nicht aber auf den Erfolg des Gesamtprojektes. In unserem agilen Projekt ermöglicht der Aufsatz von cross-funktionalen Teams die Bündelung aller relevanten Perspektiven durch Vertreter von Geschäftsseite, IT, Test und externen Softwarelieferanten in jedem Team und zu jedem Zeitpunkt. Die Mitglieder tauschen sich in ihren Teams zu den Details der Anforderungen und ihren spezifischen Perspektiven aus. So kann frühzeitig sichergestellt werden, dass nur Konzepte entwickelt werden, die für alle tragbar und umsetzbar sind.

Die Gesamtheit der Anforderungen wird in einem gemeinsamen Product Backlog transparent gemacht und priorisiert. Aus dieser Liste können sich die Teams ihre ToDos „ziehen“ und in den Sprints umsetzen. Die Sprints werden gemeinsam geplant, um sich über Abhängigkeiten zwischen den Teams bewusst zu werden und diese steuern zu können. Außerdem wird der Entwicklungsstand täglich zwischen den Product Ownern der Teams in kurzen Daily-Meetings ausgetauscht und über ein Kanban-Board gesteuert. Blockaden in der Entwicklung werden so frühzeitig transparent und können gemeinsam angegangen oder an den Chief Product Owner eskaliert werden. 

Testoptimierung und -automatisierung

Das Testing stellte bei anderen Projekten einen erheblichen Anteil des Gesamtaufwandes dar. Durch nachgelagerte Test-Prozesse wurden viele Probleme erst spät entdeckt, so dass der Nachbesserungsaufwand hoch war – je später, desto teurer. Durch die Integration von Test-Expert:innen in alle Scrum-Teams und den Aufsatz eines Test-Excellence-Centers, welches die Teams unterstützte, konnte das Testing deutlich optimiert werden. Getestet wird nun frühzeitig und vor allem risikoorientiert. Test-Driven Development und Testautomation spielen dabei genauso eine wichtige Rolle, wie die Bereitstellung von täglichen Builds durch den externen Softwarelieferanten. Probleme können so frühzeitig aufgedeckt und der Verbesserungsaufwand kann gegen Ende des Projektes minimiert werden.

Neben diesen wichtigen Hebeln im Prozess haben wir gezielt den kulturellen Wandel begleitet. Unser Change-Programm ruhte auf zwei tragenden Säulen: Enablement und Empowerment. Enablement umfasste die Durchführung agiler Basisschulungen für die mehr als 120 Teammitglieder. Anschließend führten wir spezifische Trainings und ein begleitendes Coaching für Mitarbeitende in spezifischen Rollen, (z. B. Scrum Master und Product Owner) durch und begleiteten einzelne Führungskräfte im Umgang mit ihren neuen Aufgaben und dem agilen Verständnis von Führung. Ein wichtiger Aspekt von Empowerment war die Ausstattung der Teammitglieder und der Rollen (z. B. Product Owner der Teams und Chief Product Owner) mit starken Mandaten, um anstehende Entscheidungen schnell und weitgehend eigenverantwortlich treffen zu können. Zusätzlich haben wir unternehmerisches Denken und Handeln aktiv ermutigt und gefördert, damit diese Eigenverantwortung auch tatsächlich angenommen und ausgefüllt werden konnte. Mit Erfolg: So wurden beispielsweise animierte Schulungsvideos in Eigeninitiative und -regie durch die Mitarbeitenden erstellt.

Wie jeder grundlegende Wandel ist Agilisierung kein Selbstläufer, aber sie lohnt sich: Die Organisation wird flexibler und schlagkräftiger und – wie eine Befragung der Projektbeteiligten zeigte – die Mitarbeitenden werden durch die neuen Spielräume aktiviert und motiviert

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Lucas Brosi
Lucas Brosi
Associate Principal

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