
Toxische Führung – unterschätzter Burnout-Beschleuniger
Wenn Führung krank macht
Toxische Führungskultur ist einer der größten, aber oft übersehenen Risikofaktoren für die psychische Gesundheit am Arbeitsplatz. Unser Kollege Sven Briesemeister etwa kennt dieses Phänomen nicht nur aus der Beratung, sondern auch aus seiner Zeit als Psychotherapeut in einer Reha-Klinik: Bei einem Großteil der Burnout-Patient:innen ist nicht primär Überlastung der Auslöser – sondern das Verhalten ihrer Vorgesetzten. Demütigungen, Willkür, emotionale Misshandlung hinterließen tiefere Spuren als reine Arbeitslast.
1. Definition: Was ist toxische Führung?
Unter toxischer Führung versteht man ein destruktives Führungsverhalten, das Mitarbeitende psychisch belastet, Teams destabilisiert und die Leistungsfähigkeit einer Organisation langfristig schwächt. Typisch sind Machtmissbrauch, fehlende Empathie und ein Verhalten, das Demütigung statt Förderung erzeugt. Während gute Führung auf Vertrauen und Entwicklung baut, wirkt toxische Führung wie ein Brandbeschleuniger: Sie untergräbt Motivation und steigert das Risiko für Burnout und Fluktuation.
2. Was sind Merkmale und Warnsignale?
Toxische Führung zeigt sich in vielen Facetten und ist nicht immer auf den ersten Blick erkennbar. Sie kann sich in einzelnen, subtilen Verhaltensweisen äußern oder in einer destruktiven Gesamtstruktur manifestieren. Dabei kann eine Führungskraft nur ein einzelnes Warnsignal zeigen oder gleich mehrere Merkmale gleichzeitig.
Zu den typischen Symptomen können zählen:
- Übermäßiges Bedürfnis nach Kontrolle, das sich in Mikromanagement und fehlendem Vertrauen niederschlägt.Mikromanagement ist oft Ausdruck mangelnden Vertrauens – Entscheidungen werden nicht delegiert, sondern ständig hinterfragt oder revidiert.
- Informationszurückhaltung: Manche Führungskräfte halten Informationen zurück, um ihre Machtstellung zu sichern
- Manipulation, um Teams gegeneinander auszuspielen
- Bloßstellen von Mitarbeitenden
- Bevorzugen Einzelner
- Narzisstisches Selbstbild.
Besonders gefährlich ist diese Mischung, weil sie das Klima in Teams nachhaltig vergiftet und Betroffene in eine Spirale aus Angst, Stress und Resignation treibt.
3. Welche Typen toxischer Führungskräfte gibt es?
Forschung und Praxiserfahrungen zeigen wiederkehrende Muster: Da ist der
- Narzisst, der Bewunderung einfordert und keine Kritik duldet.
- Kontrolleur, der sich in Details verliert und jede Eigeninitiative erstickt.
- Unsichtbare, der Verantwortung meidet und sein Team ohne Orientierung lässt.
- Choleriker, der mit Lautstärke und Angst führt.
- Puppenspieler, der Mitarbeitende gegeneinander ausspielt.
- Die kalte Führungskraft, die sich bewusst distanziert und Empathie verweigert.
Diese Typen unterscheiden sich in ihrer Ausdrucksform – das Ergebnis bleibt dasselbe: Ein Umfeld, das Mitarbeitende zermürbt.
4. Was lässt sich aus Praxisbeispielen lernen?
Die destruktive Wirkung lässt sich empirisch wie auch im Alltag beobachten.
Empirische Belege und Forschung
Zahlreiche wissenschaftliche Studien belegen die weitreichenden Auswirkungen toxischer Führung auf die psychische Gesundheit und Leistungsfähigkeit von Mitarbeitenden. Ein Beispiel liefert die Studie von Carleton et al. (2016), die die langfristigen Folgen missbräuchlicher Führung im Profisport untersuchte. Die Studie zeigte, dass toxische Coaches nicht nur die Leistung ihrer Spieler auf kurze Sicht verringerten, sondern auch aggressives Verhalten langfristig förderten. Besonders auffällig war, dass die psychologischen Auswirkungen dieser Führung auch Jahre nach dem Ende der Beziehung zwischen Coach und Spieler zu dauerhaften Leistungsbeeinträchtigungen und emotionalen Reaktionen führten.
Diese Erkenntnisse decken sich mit der Meta-Analyse von Pletzer et al. (2023), die einen signifikanten Zusammenhang zwischen destruktiver Führung und der Zunahme von Burnout-Symptomen und verringertem Engagement aufzeigt. Destruktive Führung wirkt also nicht nur direkt auf die Leistungsfähigkeit, sondern auch auf die langfristige psychische Gesundheit von Mitarbeitenden.
Praxiserfahrungen und Anwendungsbeispiele
Im praktischen Kontext zeigt sich, dass nicht nur Überlastung, sondern vor allem toxische Führung für viele Betroffene zu einem schwerwiegenden Problem wird. In einer Reha-Klinik berichteten zahlreiche Burnout-Patient:innen, dass nicht die Arbeitsbelastung, sondern das Verhalten ihrer Vorgesetzten den Hauptfaktor für ihre Erkrankung darstellte. Demütigungen, Willkür und emotionale Kälte durch Führungskräfte hinterließen bei den Mitarbeitenden tiefere Spuren als die reine Arbeitslast.
Gegenteilige Praxisbeispiele zur Prävention
Im Gegensatz dazu setzen Organisationen wie Google auf eine systematische Fehlerkultur und den "blameless post-mortem"-Ansatz, der es ermöglicht, aus Fehlern zu lernen, ohne Schuldige zu suchen. Diese Praxis fördert eine gesunde Fehlerkultur, in der toxische Führungsdynamiken bewusst vermieden und stattdessen als Chance zur Verbesserung der Arbeitsweise genutzt werden. Das Beispiel von Google zeigt, wie strukturelle Maßnahmen und eine konsequente Fehlerkultur destruktive Dynamiken aktiv brechen können.
5. Was sind die Folgen für Mitarbeitende und Unternehmen?
Die Folgen sind gravierend, sowohl für die betroffenen Mitarbeitenden als auch für das Unternehmen.
Folgen für Mitarbeitende
Toxische Führung hat weitreichende Auswirkungen auf die psychische und physische Gesundheit der Mitarbeitenden. Die ständigen Belastungen, die durch destruktive Führung entstehen, können zu ernsthaften gesundheitlichen und sozialen Problemen führen.
- Psychisch: Burnout, Depressionen, Angststörungen, Schlafprobleme
- Sozial: Isolation, Verlust des Vertrauens in Kollegen und Vorgesetzte
- Gesundheitlich: Erhöhtes Risiko für körperliche Erkrankungen (z.B. Bluthochdruck, Magen-Darm-Probleme)
Diese Folgen führen zu einer ganzheitlichen Belastung, die nicht nur das persönliche Wohlbefinden, sondern auch die Arbeitsfähigkeit erheblich einschränken kann.
Folgen für Unternehmen:
Unternehmen, die toxische Führung tolerieren, gefährden nicht nur die Gesundheit ihrer Mitarbeitenden, sondern auch ihre langfristige Leistungsfähigkeit und kulturelle Integrität.
- Wirtschaftlich: Produktivitätsverluste, Krankheitsausfälle, Fluktuation
- Kulturell: Vertrauensverlust, geringere Innovationskraft, Demotivation bis hin zur Abwanderung von Talenten
- Gesellschaftlich: Höhere Belastung der Gesundheitssysteme, langfristige wirtschaftliche Konsequenzen
Toxische Führung kann sich langfristig negativ auf das Unternehmen auswirken – sowohl auf kurzfristige Leistungskennzahlen als auch auf die gesamte Unternehmenskultur. Laut Gallup und dem DAK-Psych-Report summieren sich diese Effekte auf Milliardenkosten für die deutsche Wirtschaft.
6. Psychologische Sicherheit als Schutzfaktor
Das wirksamste Gegenmittel gegen toxische Führung ist psychologische Sicherheit. Sie beschreibt die Überzeugung, dass Mitarbeitende offen sprechen, Fehler eingestehen und neue Ideen äußern können, ohne negative Konsequenzen befürchten zu müssen. Wie wir in unserem Artikel Psychologische Sicherheit am Arbeitsplatz darlegen, belegen Gallup-Daten, dass Mitarbeitende in einem sicheren Umfeld deutlich seltener von Burnout betroffen sind und zugleich engagierter arbeiten. Fehlende Sicherheit hingegen verstärkt Phänomene wie das Floating Duck Syndrome, bei dem Mitarbeitende äußerlich souverän wirken, innerlich aber unter enormem Druck stehen.
7. Schutzstrategien für Betroffene
Betroffene können sich schützen, indem sie Grenzen setzen und Vorfälle dokumentieren – schriftliche Belege schaffen Klarheit und Handlungsspielraum. Auch der Austausch mit Kolleg:innen ist entscheidend, um Isolation zu vermeiden. Unterstützung durch den Betriebsrat oder psychologische Beratungsdienste kann hier helfen. Schließlich spielt Selbstfürsorge eine zentrale Rolle: klare Trennung von Arbeit und Freizeit, ernst nehmen körperlicher Warnsignale und der bewusste Aufbau von Resilienz.
8. Rechtliche Möglichkeiten und Beschwerdewege
Neben individuellen Strategien gibt es auch formale Wege. Betriebsräte sind erste Anlaufstellen für Beschwerden über Führungsverhalten. Hinweisgebersysteme, die im Rahmen des Hinweisgeberschutzgesetzes vorgeschrieben sind, bieten weitere Möglichkeiten. Arbeitsrechtlich reichen die Mittel von Abmahnungen über Versetzungen bis hin zu Kündigungen bei nachgewiesenem Fehlverhalten. Externe Optionen wie Gewerkschaften, Anwälte oder Aufsichtsbehörden können ebenfalls eingebunden werden, wenn interne Kanäle nicht greifen.
9. Handlungsempfehlungen für Organisationen
Unternehmen müssen toxische Führung systematisch adressieren. Der erste Schritt ist die Diagnose: regelmäßige Pulse-Checks, Feedbackinstrumente und Exit-Interview-Analysen machen Muster sichtbar. In der Auswahl sollten neben Fachkompetenz auch klare Kriterien für Leadership-Verhalten gelten – nach dem Prinzip „No promotion without people review“.
Für die Entwicklung empfehlen sich verpflichtende Trainings zu Kommunikation und Konfliktlösung, Peer-Coaching und die gezielte Förderung psychologischer Sicherheit.
Auch die Steuerung ist zentral: Leadership KPIs müssen Teil der Unternehmenssteuerung sein, und auffälliges Verhalten darf nicht folgenlos bleiben. Kulturanker wie „Failure Culture Days“ oder die Sichtbarkeit positiver Vorbilder stärken die gewünschte Kultur. Unterstützungssysteme – von Ombudsstellen über Mentoring bis zu psychologischer Beratung – schaffen Sicherheit für Mitarbeitende. Schließlich braucht es Governance: verbindliche Führungsstandards im Code of Conduct, Gleichstellung von Führungsverstößen mit Compliance-Verstößen und externe Audits in Transformationsphasen. Diversity Management kann ergänzend toxischen Dynamiken entgegenwirken, indem Vielfalt bewusst gefördert wird.
Wer nachhaltig gegensteuern will, muss folglich auf mehreren Ebenen ansetzen.
10. Wirtschaftliche Relevanz
Die wirtschaftlichen Kosten toxischer Führung sind enorm. Gallup (2024) und der DAK Psych-Report (2024) zeigen, dass Fluktuation, Produktivitätsverluste und Krankheitsstände Unternehmen jährlich Milliarden kosten. Wer toxische Führung toleriert, gefährdet damit nicht nur die Gesundheit der Mitarbeitenden, sondern auch die Wettbewerbsfähigkeit des gesamten Unternehmens. Es handelt sich nicht um ein reines HR-Thema, sondern um eine zentrale Managementaufgabe.
11. Wissenschaftliche Belege
Die Forschungslage ist eindeutig. Carleton et al. (2016) belegten die negativen Effekte missbräuchlicher Coaches in der NBA. Pletzer et al. (2023) zeigten in einer Metaanalyse den klaren Zusammenhang zwischen destruktiver Führung, Burnout und sinkender Motivation. Gallup-Daten (2023) wiederum verdeutlichen, dass unterstützende Kulturen messbar zu Engagement, Gesundheit und Loyalität beitragen.
12. Fazit und Next Steps
Toxische Führung ist ein schleichendes Gift für Organisationen – mit massiven psychischen, kulturellen und wirtschaftlichen Folgen. Wer Burnout wirksam vorbeugen will, muss destruktives Führungsverhalten früh erkennen, konsequent handeln und den Aufbau psychologischer Sicherheit zur Priorität machen.
Next Steps für Organisationen: Toxische Führung erkennen und präventiv handeln
Frühwarnsysteme einführen:
Unternehmen sollten regelmäßig anonyme Pulse-Checks und 360°-Feedbacks durchführen, um toxisches Verhalten frühzeitig zu erkennen. Durch gezielte Fragen zur Führungsqualität können Risiken schnell identifiziert werden, bevor sie sich negativ auf das Team und die Organisation auswirken.
Klein anfangen:
Pilotprogramme zu Fehler- und Feedbackkultur schaffen schnelle Wirkung.
Ein guter Startpunkt sind kleine, pilotierte Programme, die sich auf Fehlerkultur und Führungskommunikation konzentrieren. Ein „Fail-of-the-Month“-Programm oder regelmäßige Reflexionsgespräche können das Vertrauen im Team stärken und den Umgang mit Fehlern normalisieren.
Führung beginnt bei sich selbst:
Führungskräfte müssen ihre eigene Verwundbarkeit zeigen, um psychologische Sicherheit zu schaffen. Nur wer bereit ist, eigene Fehler einzugestehen und transparent mit Herausforderungen umzugehen, kann eine offene und unterstützende Kultur etablieren.
Ergreifen Sie jetzt die Initiative!
Möchten Sie toxische Führung und Burnout-Risiken in Ihrem Unternehmen effektiv vorbeugen? Kontaktieren Sie uns, um gemeinsam eine präventive Strategie gegen toxische Führung zu entwickeln und eine resiliente, gesunde Führungskultur zu etablieren, die Ihr Unternehmen nachhaltig stärkt und zugleich Ihre Mitarbeitenden schützt.